Wie fotografiert man einen Photographen?

von Lorenz Trapp 

Auch wenn man auf dem Planeten Erde inzwischen annehmen darf, dass fast jeder Winkel und jedes Wesen dieser Welt schon mindestens einmal vor die neugierige Linse eines Fotografen geraten ist und der Mann mit der Kamera dann auch abgedrückt hat – es bleibt doch ein großes Geheimnis bestehen: Wie fotografiere ich einen Photographen? Wie fotografiere ich einen Mann, dem ich das Ph in seiner Berufsbezeichnung nicht durch das moderne F ersetzen will, weil seine Bilder in genialer Mischung aus Handwerk und Kunst die „Arbeit“ in den Photographien sichtbar machen, ja am Leben erhalten? 

fotograf

Wir haben es nicht gelüftet! Denn mit der Digital-Kamera des Redakteurs und Journalisten draufhalten und abdrücken ergibt zwar ein Bild, doch bleiben Fragen im Raum: Wird die sichtbare Fotografie einem Photographen gerecht? Stimmt das Licht? Harmoniert der Hintergrund? Was ist mit der Perspektive? Ist der Fotografierte selbst überhaupt zu sehen? Wir haben Glück: Die fotografierte Person ist zu sehen und heißt Franz Wagner. Sonst gibt es zu dem Bild nichts zu sagen. Zumindest nichts Besonderes. Ein Bild eben. Mehr zu sagen gibt es zu den Bildern von Franz Wagner.


Seine Leidenschaft gilt zwar der Schwarz-Weiß-Photographie,
doch mit seinen „Farbräumen“ demonstriert Franz Wagner,
welche Farben die Natur im richtigen Licht bereit hält –
ganz ohne Bearbeitung am Computer.

„lichtJahre“, „lichtBlicke“ waren Titel seiner Ausstellungen, und seine letzte Ausstellung dieses Frühjahr in Viernheim hieß schlicht „lichtBilder“, aus der auch die Fotos, nein: die Photographien auf dieser Seite stammen (bis auf die eine, die diesen Namen nicht verdient und über die, also: über das wir kein Wort mehr verlieren wollen).

Ausstellung bedeutet Kunst? „Kunst“, sagt Franz Wagner, „ist ein schwieriges Wort. Ich bin ja eigentlich Handwerker!“ Als Handwerker ist Franz Wagner in Pfaffenhofen bekannt. Der 58-Jährige betrieb in der Ingolstädterstraße das „Atelier für Fotografie“- die lichtwelten, das nun sein Partner Michael Leopold alleine weiterführen wird, denn Franz Wagner hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen.

fotograf2

fotograf3

Seine fotografische bzw. photographische Ent­­­wicklung sei „schon immer etwas anders“ gewesen, blickt Franz Wagner zurück, und um mein Problem mit dem Ph und dem F vom Tisch zu wischen, erklärt er mir, er sehe, solange man analog und als Lichtbildner gearbeitet habe, das Ph gerne, doch mit dem F habe er seit der digitalen Phase der Bildherstellung kein Problem. Aus Trotz, oder weil ich auch etwas Schöpferisches beitragen möchte, werde ich ihn nun Fotograph nennen, und Franz Wagner nickt lächelnd zu diesem Vorschlag: „Es gibt Wichtigeres“. Junge Männer, erzählt er, möchten sich absetzen, und so hat er seine Ausbildung nicht im väterlichen Fotogeschäft absolviert, sondern seinen eigenen Weg gesucht und sich aufgemacht nach München zu „Reger“, damals eine der renommiertesten Firmen im Bereich der Fotographie. Nach der Ausbildung arbeitete er freiberuflich als Kameramann beim Bayerischen Fernsehen und hat sich dort „mit meiner Art des Sehens ein Fundament erarbeitet“, das ihm bei seiner zukünftigen Arbeit stets zu Gute kam. Oft war er auch bei Sportereignissen eingesetzt, und 1972 stellte der Sender ein Team zusammen, das die Olympischen Spiele in München dokumentieren sollte – allerdings nur mit Festangestellten. Franz Wagner – „ich war ungeduldig“ – lehnte den Vertrag ab und setzte sich in verschiedenen Aufträgen und Firmen mit Werbefotographie auseinander.

„Irgendwann“ habe er dann den Meister gemacht, und dann kam sein Vater mit dem Vorschlag auf ihn zu, das Studio in Pfaffenhofen gemeinsam zu führen. Eine „Werbeecke“ richtete er sich ein, und so habe er sich ein mehr oder weniger gutes Geschäft mit zwei Vorteilen aufgebaut: „Ich konnte ganz gut davon leben und ich konnte der Einzelkämpfer sein, der seinen Job selbst bestimmt und seine Sichtweise dominieren lassen kann“. Denn Fotograph sei man mit Leib und Seele, man arbeite aus der Motivation heraus und möchte natürlich seine eigene Philosophie durchscheinen lassen. „Subjektiv aber“, Franz Wagner lächelt wieder, „muss man sagen: Als Fotograph spinnt man ein bisschen! Man muss einfach von seiner eigenen Sichtweise absolut überzeugt sein, und die auch fachlich beherrschen, sonst kannst du es nicht gut rüberbringen!“ Anfang der 90er Jahre begann der Siegeszug der Digitalkameras. Bei einem internationalen Fotographentreffen im südfranzösischen Arles freundete er sich mit einem Amerikaner an, der ihm den Rat gab: „Lieber Wagner, wenn du in der Werbung vorne mitmischen willst, musst du einen Apple Mac kaufen!“ Und das hat Franz Wagner dann auch getan. Er hat aber nie aufgehört, auf Film zu fotographieren: „Denn da muss die gesamte Komposition vorher stimmen, das Licht, die Perspektive …“ Und das, sagt er zu Recht stolz, habe ihm seine Aufträge gebracht. Früher, erinnert er sich, hat der Fotograph sein Dia beim Kunden abgegeben, „und das hatte meine Handschrift und musste druckreif sein“. Seit der Jahrtausendwende sei er aber zum „Druckvorstufler“ mutiert, das fotographische „Know-how“ sei nicht mehr so wichtig. Franz Wagner nennt das Kind beim Namen: „Mit 25 Millionen Pixel in der Digicam gibt’s einfach gute Fotos, und ein Lichtbildner ist nicht mehr nötig. Du machst eine Belichtungsreihe und lässt dir ein optimales Foto am Computer ‚zusammenrechnen’“. Das nehme einem ein bisschen die Überzeugung, doch „wer nicht mit der Zeit geht“, sinniert er, „geht mit der Zeit“. So kommt es ihm jetzt durchaus nicht ungelegen, dass er mit Michael Leopold, den er übrigens auch ausgebildet hat, einen Geschäftspartner gefunden hat, der das Atelier in der Ingolstädterstraße weiterführen wird. Er selbst möchte sich nun den Dingen widmen, die er immer schon machen wollte, und, vor allem, nicht mehr der sein, der nur dem Layout und dem von den Agenturen vorgegebenen Kostenrahmen folgen muss.

fotograf4

Wir kehren zurück zur Photographie. „Photographie kommt aus dem Griechischen und bedeutet: mit Licht zeichnen“. Das, hat sich Franz Wagner nun vorgenommen, soll für die nächsten Jahre auf seinen Fahnen stehen. „Ehrliche, glaubwürdige Photographie möchte ich machen, die nichts mit Eyecatchern und manipulierter Fotografie zu tun hat“, und sein ambivalentes Verhältnis zu den Eyecatchern, den Fotos, deren Sinn „nur“ darin besteht, Aufmerksamkeit zu erregen, möchte er erklären. „Es steht mir nicht zu, Kritik zu üben“, sagt er bescheiden, „ich bin ein liberaler Mensch. Doch man sollte immer bedenken, dass da auch wirtschaftliche Interessen dahinter stecken!“ Und schon stellt sich das Prädikat „Kunst“ im Zusammenhang mit der Fotographie unwillkürlich selbst in Frage.

„Kunst“, sagt Franz Wagner noch ein Mal und diesmal begleitet er es mit einem Lächeln, „ist eben ein schwieriges Wort!“ Was aber nicht heißt, dass sie in seinen Photographien unmöglich ist. Seine Bilder bilden die Realität nicht nur ab, sie machen die uns umgebende Realität für unser Bewusstsein in ihrer ganzen Vielfalt sichtbar. Kritisch betrachtet und beobachtet Franz Wagner die Welt, arbeitet sie photographisch, von leichter Hand „mit Licht gezeichnet“, auf und zwingt uns so zur Wahrnehmung von Dingen, Details und Kompositionen, die vorher unser Auge nicht hinter dem Ofen hervorgelockt hätten. Ihm aber gelingt es, seinen magischen Blick auf die Welt in einmaligen Abbildungen wiederzugeben und so die Dinge – im wahrsten Sinne des Wortes – ans Licht zu bringen.

Jetzt will er sich wieder verstärkt mit der Schwarz-Weiß-Photographie auseinandersetzen, und dazu sucht er momentan eine Werkstatt, in der er sein Schwarz-Weiß-Labor einrichten kann. Er nennt es tatsächlich Werkstatt, nicht Studio, nicht Atelier, und drückt damit aus, wie wichtig ihm das Handwerkliche an der Photographie ist – und schon immer war. Realisieren möchte er in der Schwarz-Weiß-Photographie, „was ihm am Herzen liegt“. Das verfolgt er jetzt, und er weiß auch, dass er es schaffen wird. Reden wir dann über Kunst?

fotograf5

Franz Wagners erste offizielle Begegnung mit der Kunst fand im Jahre 1994 statt. Seine Bilder hingen auf der „Photokina“ in Köln. Er hatte sich bei einer bundesweiten Ausschreibung unter Berufsphotographen beworben und war von einer hochkarätigen Jury ausgewählt worden, seine Bilder auf der bedeutendsten Messe für Fotografie (damals noch Photographie?) zu präsentieren. Nun möchte er auch in seiner „Werkstatt mit Showroom“ zeigen, wie er „mit Licht zeichnet“. „Snow mush­rooms“ nennt er die Serie, an der er gerade arbeitet: „Stellen Sie sich einen abgeschnittenen Baumstumpf vor, auf dem Schnee liegt, schmilzt, tropft“. Schnee in verschiedenen Schichten, im Dezember, im Januar, im März, in den Bergen, das sei ein Schwarz-Weiß-Motiv, das ihn reize, und natürlich sieht Franz Wagner die Herausforderung: „Das muss man handwerklich einfach draufhaben!“

Handwerklich! Das Handwerk. Er will’s nicht lassen, und ich bringe die Kunst nicht mehr ins Spiel. „Kunst“, muss ich ihn zitieren, denn Franz Wagner sagt es nicht mehr, „ist ein schwieriges Wort!“ Ein schwieriges Wort, dessen englisches Pendant Franz Wagner zum Abschied und ein bisschen wehmütig erwähnt. Den Photographen werde es wohl bald nicht mehr geben; eher sehe er einen Digital-Artist, der mit dem Rechner verheiratet ist: „Und das bin ich nicht!“ Ein Lichtblick im Fotografen-Dschungel! F her und Ph hin, Kunst hin und Handwerk her, wir wünschen Franz Wagner einfach gutes Werkzeug, den Stift, mit dem er zeichnet: „Allzeit gutes Licht!“

fotograf7 fotograf6