Wichtelzeit und Spielplatzzauber

Eins, zwei, drei, De-ve-ley. Das waren noch Zeiten, als wir alle begeistert unseren Kreuzchen-Senf auf den Wahlzettel schmieren durften in der Gewissheit, dies werde auch etwas nützen, etwas bewegen, gar mit einem Ruck durchs Land vibrieren. Weit gefehlt.

Eins, zwei, drei, vier, De-fi -li-ier. Wir schreiben den alten Slogan aus dem Dreivierteltakt um in einen Viervierteltakt, als würden wir jemanden den Marsch blasen. Mit Recht und Verzweifl ung. Was, glauben die eigentlich, wer sie sind? Nach ellenlangen Sondierungen verlassen sie ohne großes Holterdipolter das sinkende Schiff, und Jamaika ist nicht mal mit Falkenaugen vom Ausguckkörbchen an der Mastspitze aus zu erkennen. Dort werden Sektkorken knallen, hier wird Trübsal in Tüten geblasen. Wie gerupfte Hühnchen defi lierten die Sondierer der vier, wie es vor Wochen so schön hieß, „mit einem klaren Regierungsauftrag versehenen Parteien“ im Gänsemarsch und mit leeren Händen am verdutzten Wähler vorbei. Und ein jeder gebe seinen Senf dazu. Den Vogel abgeschossen hat wohl Christian Lindner. Es sei besser, schlug er auf die Abbruchpauke, nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Was eigentlich meint er mit „falsch regieren“? Kann man ein demokratisches Gebäude falsch instandhalten? Falls ja, man wäre von Haus aus fehl am Platze. 237 Konfl iktpunkte seien offen geblieben; die würde ich gerne mal sehen, und Angela Merkel äußerte sich zur Ursache des Scheiterns der Sondierungsverhandlungen gewohnt souverän: „Es war offensichtlich die Gesamtbewertung für die FDP, die ausschlaggebend war“.

„Wer rausgeht, ist schuld“, deutete Jürgen Trittin sofort auf einen Sündenbock, man solle nachdenken, während sein Parteigenosse Cem Özdemir – wie des öfteren martialisch übertrieben – beteuerte, die Grünen seien „bis zur letzten Sekunde zur Verständigung bereit“ gewesen. Dass die Verständigung zwischen den beiden C-Parteien anscheinend oder scheinbar prima geklappt hatte, demonstrierte Horst Seehofer, als er – wirklich zerknirscht oder mit Schalk im Nacken? – der Sondierungschefin Angela Merkel „für unermüdlichen Einsatz und Konzentration“ lobte, und das im Stile des Kassiers eines Demokratiezuchtvereins, der dem langjährigen Vereinsvorsitzenden für den aufopferungsvollen Kampf um neue Gitterstäbe im Stall der Demokratie sein Danke ausspricht.

Das war’s dann wohl gewesen. Aber wie geht’s weiter? „Deutschland braucht jetzt Stabilität“, sagt Angela Merkel. Da wären wir nicht drauf gekommen, und die verhinderten Koalitionäre sind es wohl auch nicht. Wenn sie sich demnächst einen neuen Spielplatz suchen, auf dem sie ihr Sondierungshandwerk ausüben dürfen, sollten sie sich mal den Spielplatz an der Wannerspergerstraße (siehe Bild oben) vornehmen. Der wird nämlich gerade umgebaut: „Die Spielhäuser am Kleinkinderbereich und an der geplanten Rutschbahn sind in den Grundzügen errichtet. Auch der Kriechtunnel wurde schon in das Gelände eingearbeitet, und das Grundgerüst der Schaukel sowie die Sitzbalken sind ebenfalls bereits vorhanden“, teilte die Stadtverwaltung mit, und das wär doch was für die Mädln und Burschen aus der großen Politik.

Alternative wäre ein Besuch auf dem Christkindlmarkt, der vom 30. November bis 30. Dezember wieder auf dem Hauptplatz stattfi nden wird. Hier könnten sie sich, innerlich gewärmt von Punsch und Glühwein, mit anderen Wichteln treffen und sich zeigen lassen, was eine Harke ist – nämlich, dass Rumwichteln ohne Ergebnis nicht mehr ist als wochenlange überfl üssige Gschaftlhuberei; vielleicht erscheint dem einen oder anderen im Glühwein nebel auch die richtige Bedeutung des Wortes Koalition in schärferen Konturen: gemeinsam nähren, pfl egen und warten (nicht einfach nur so gemeinsam rumsitzen, nein, auch mal Gießkanne und Schraubenschlüssel in die Hand nehmen).

Zu guter Letzt fahren sie dann doch in den Urlaub. Apropos: 447 Mio. Euro pro Jahr, teilt das Pestel- Institut mit der Pressewelt, lassen sich die Landkreisbewohner ihre Reiselust kosten, vom Kind bis zum Senior im Landkreis Pfaffenhofen betragen die Pro-Kopf-Ausgaben für „den Tourismus“ also durchschnittlich 3700 Euro pro Jahr, 20 % ihrer Gesamtausgaben; zum Vergleich: 10 % werden für Nahrungsmittel aufgewendet; man sieht, die Bibel hat doch recht, der Mensch lebt nicht vom Brot allein.

Ich kenne jemanden, dessen einziger Urlaub im Jahr mit der Familie ins Wonnemar führt, und dieser Urlaubseintritt kostet – 4 Stunden Familien- Spaß, ohne Sprit und Pommes für die Kinder – genau 1 % dessen, was der Durchschnittslandkreisler für seinen Urlaub locker macht. 50 Cent muss er aber trotzdem noch drauflegen.

(von Lorenz Trapp)