Pensionierte Lehrkörper auf dem Schlachtfeld von Austerlitz

Die Lebensweisheit des Schweizer Gesundheitsökonomen Gerhard Kocher, dass kein Körper so rasch und sichtbar altert wie der Lehrkörper, widerlegen die pensionierten Lehrerkolleg(inn)en des Schyren-Gymnasiums nun bereits seit vielen Jahren, wenn sie sich nebst Ehepartnern mit ihrem Organisator und Reiseleiter Peter Feßl auf Exkursion begeben. Ihre nun bereits zum neunten Mal durchgeführten Gesellschafts- und Bildungsfahrten in Länderdreiecke der EU sind ein schlagender Beweis dafür, dass sie an Vitalität und Tatendrang keineswegs eingebüßt haben. Allenfalls sind es ein paar unscheinbare körperliche Alterszipperchen, die vielleicht der Elastizität des Bewegungsablaufs ein wenig von der ursprünglichen Eleganz genommen haben. Aber ihr Enthusiasmus und die Aufgeschlossenheit für Neues und zudem die Freude darüber, dass hierbei auch das gesellige Zusammensein gepflegt wird, sind ungebrochen.

Heuer führte ihre Reise in das Länderdreieck Österreich, Südmähren und Slowakei, wobei das zentrale Quartier des Unternehmens im tschechischen Mikulow aufgeschlagen wurde. Bereits bei der Anfahrt ließ Peter Feßl keinen Zweifel darüber aufkommen, dass Bildung nicht allein ein Produkt von Amüsement und Zerstreuung sein kann. Sein umfangreiches Informationsmaterial, das er verteilte und kommentierte und das Referat eines Kollegen über „Prolog und Kontext zur Schlacht von Austerlitz“ sind hierfür Beleg. Ebenso wie der programmatische Auftakt: Eine Führung durch Enns, die wohl älteste Stadt Österreichs und erste Cittàslow des Landes, ließ die Erinnerung an das keltische Noricum und die gleichnamige spätere römische Provinz mit ihrem Legionslager Lauriacum wach werden. Weit über 6000 Soldaten waren zu jener Zeit hier stationiert, 30 000 Menschen lebten insgesamt in einer Siedlung, der der römische Imperator Caracalla 212 n. Chr. das Stadtrecht verlieh. Der hl. Florian, Oberbefehlshaber einer römischen Militäreinheit, die für die Feuerbekämpfung zuständig war, wurde, weil er seinem Glauben nicht abschwor, in der Zeit der Christenverfolgung unter Diokletian in der Enns ertränkt. Eigentlich sollte er bei lebendigem Leib verbrannt werden. Da er aber versicherte, in den Feuerflammen zum Himmel aufzusteigen, warf man ihn in den Fluss. Mit ihrem von der Gotik und Renaissance geprägten Tower als Wahrzeichen hat die „Stadt der Entschleunigung“, in der die österreichische Landesausstellung 2018 stattfinden wird, heute nur mehr etwa 11 500 Einwohner.


Grabhügel auf dem Schlachtfeld von Austerlitz

Über das niederösterreichische Weinviertel gelangte man auf der neuen Nordautobahn A5 (E 464), bei deren Bau etwa 1 Million Jahre alte Wirbelknochen und Stoßzähne aus dem Altpleistozän gefunden wurden, nach Mikulow in Südmähren. Das ehemalige deutsche Nikolsburg besitzt eine vielfältige Vergangenheit: Es wurde in der Zeit der Babenberger (11. Jh.) von Süddeutschen und Österreichern besiedelt, stand unter der Herrschaft vieler bedeutender Adelsgeschlechter, so der Reichsfürsten von Dietrichstein oder der mächtigen Liechtensteiner. Wallenstein wurde hier 1625 vom Haus Habsburg der Titel eines Herzogs von Friedland verliehen, 1866 schloss man nach dem Waffenstillstand im Preußisch-Österreichischen Krieg einen Präliminarfrieden. In dieser Zeit erlangte auch die Jüdische Gemeinde mehr und mehr an Bedeutung und entwickelte sich zum Kulturzentrum der Juden in Mähren. Nach dem 1. Weltkrieg wurde Nikolsburg 1919 durch den Vertrag von Saint-Germain gegen den Mehrheitswillen der fast ausschließlich deutschsüdmährischen Bevölkerung der neu gegründeten Tschechoslowakei zugeschlagen.


Velehrad (Willerat)-Basilika des Wallfahrtsortes

Durch das Münchener Abkommen 1938 fiel es im Rahmen der Abtretung des Sudetenlandes an Deutschland, und 1945 übernahm die neue tschechoslowakische Regierung die Verwaltung des Gebiets und begann mit der Zwangsaussiedlung. Das heutige Mikulow mit seinen etwa 8000 Einwohnern ist Ausgangspunkt des „Jakobswegs Weinviertel“, dessen 1. Etappe bis nach Falkenstein in Niederösterreich führt. „Die Stadt, in der die Häuser singen“, wie sie der tschechische Dichter Jan Skácel charakterisiert, besitzt auf Grund ihrer reichen Geschichte eine Vielzahl von historischen Denkmälern, die man in wenigen Tagen nur beiläufig kennenlernen kann: das die Altstadt überragende Schloss auf einem Felshügel, den Hl. Berg mit seinen Kapellen als Kreuzwegstationen, die Synagoge und den jüdischen Friedhof, Sgraffitohaus, eine reiche Gebäudearchitektur verschiedenster Epochen usw. Jan Schanelec, der tschechische Reisebegleiter der Gruppe, verstand es, diese Besonderheiten der Stadt sehr anschaulich und mit ein wenig innerem Stolz zu vermitteln, ebenso wie die in der Nähe gelegenen Schlösser, das neugotische Lednice (Eisgrub) und das zu den schönsten Barockbauten des Landes zählende Valtice (Feldsberg). Über Jahrhunderte Eigentum der Liechtensteiner, wurden beide 1945 entschädigungslos enteignet und befinden sich heute im Besitz des Staates. Zusammen mit der sie umgebenden Parklandschaft gehören sie zum Weltkulturerbe der UNESCO.


Weltkulturerbe Schloss Valtice (Feldsberg)

Unverkennbar war das Selbstwertgefühl Jan Schanelecs, als er am dritten Tag seine Heimatstadt Brno (Brünn), die zweitgrößte Stadt Tschechiens und das kulturhistorische und wirtschaftliche Zentrum Mährens, vor Augen führte: Krautmarkt, Kathedrale St. Peter und Paul, Kapuzinerkirche und Gruft, Universität, die Jakobskirche als bedeutendsten spätgotischen Bau der Stadt, das sagenumwobene Rathaus mit seinem ebenfalls aus der Spätgotik stammenden Portal von Meister Antonin Pilgram. Einem Metzgergesellen soll es gelungen sein, einen Drachen, der die Stadt in Schrecken versetzte, mit einem Köder ungelöschten Kalks anzulocken und ihn zu töten. Das Tier hängt heute in der Durchfahrt unter dem Gebäude. Brünn war die erste Stadt, die sich 70 Jahre nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung für das begangene Unrecht entschuldigte.

Dann führte der Weg des Lehrkörpers hinaus aus der urbanen Zentrale und hinab in die Unterwelt des mährischen Karsts. Die weitläufigen und gewaltigen Sloupsko-Sosuvske Tropfsteinhöhlen aus der Zeit des Devon-Kalks bestehen aus einer unteren Etage mit Wasserläufen und einer oberen begehbaren, die im Pleistozän von Höhlenbären und Hyänen und später auch von Neandertalern bewohnt war, worauf die zahlreichen Funde von Stein- und Knochenwerkzeugen, Skeletten und Waffen hinweisen. Diese Szenerie bildete die adäquate Einstimmung für den Besuch des 12 km langen Schlachtfelds von Austerlitz auf dem Pratzeberg, wo am 2. Dezember 1805 Napoleon in der sog. „Dreikaiserschlacht“ den entscheidenden Sieg auf dem Weg zum Zenit seiner Macht errang.

Europa erhielt ein neues Gesicht. Heute begegnet man einem 28 m hohen Grabhügel des Friedens mit vier Statuen als Symbole für die Gefallenen, während sich im Innern eine Kapelle befindet, in der ihre Gebeine aufbewahrt sind. Auch dies ein signifikantes Dokument dafür, dass die Geschichte zwar lehrt, wie es Ingeborg Bachmann einmal ausdrückte, aber keine Schüler findet!


Mondseefahrt als Epilog

Die dritte Etappe der Fahrt hatte die benachbarte Slowakei zum Ziel, in der nach den tschechischen Kronen endlich wieder der Euro eine Wertstellung genoss. In der Tat war dies bei der Stadtführung in Skalica auch an der Vielzahl jüngst restaurierter Gebäude und Straßen nicht zu übersehen. Den Epilog bildete nach der Rückkehr nach Mähren letztendlich die Besichtigung des Bauernhausmuseums in Stráznice und der Besuch von Velehrad, des größten Wallfahrtsorts in der Region, wo die aus Ostrom stammenden Brüder Kyrillus und Methodius im 9. Jahrhundert im Rahmen der Missionierung slawischer Völker gepredigt hatten. Beim Ausklang der Reise, einer Schifffahrt auf dem Mondsee und dem obligatorischen Abschlussessen in Anger, war man sich darüber einig, dass die Exkursion in diese Region ein einzigartiges Erlebnis war, auch wenn da und dort durchaus noch spürbarer touristischer Nachholbedarf besteht. Aber das konnte die lebensfrohe Stimmung des pensionierten Lehrkörpers nicht beeinflussen. Man sagt ihm ja nach, dass er mitunter nur deshalb schlecht gelaunt ist, weil er keine Ferien mehr hat.

(Text von Hellmuth Inderwies)