Ein Tango an der Ilm

von Lorenz Trapp

Der kleine Saal ist mit Rosen geschmückt, davor liegt eine Terrasse, direkt am Fluss, mit Blick auf die Insel, und über allem das Licht der untergehenden Sonne – denken Sie hier an eine Tanzschule? In Pfaffenhofen? Dem, der jetzt ja sagt, unterstellen wir, dass er lügt.
Die Rosen erblühen wie Kelche der Romantik, sanft bettet uns die untergehende Sonne in lächelnde Melancholie, und irgendwo, weit hinten, seufzt sehnsuchtsvoll ein Bandoneón – tango argentino. Immer noch Tanzschule? Ja!
Alles Lug und Trug? Nein! Auch wenn milongas im umgangssprachlichen Spanisch „Lug und Trug“ bedeutet, die Milongas in der Tanzschule „Swing & Fun“ finden tatsächlich statt. „Milonga“ bezeichnet eine Tanzveranstaltung, auf der Tango gespielt und getanzt wird. Diese „Tangofeste“ gibt es bereits seit vier Jahren, und eingeführt und organisiert hat sie Martina Domke, die in der Tanzschule als Kindertanzlehrerin arbeitet. Regelmäßig am letzten Samstag im Monat treffen sich vom Tango Begeisterte in jenem rosengeschmückten Saal in der Schulstraße, mit Blick auf die Ilm.

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„Die Milonga“, erklärt Martina Domke, „ist nicht nur zum Tanzen da; man kommt auch, um sich zu unterhalten“. Und, fügt sie hinzu: „Es kommen keineswegs nur Paare, auch Singles sind willkommen!“ Oft werden auch Tango-Shows geboten, die im überschaubaren, beinahe intimen Rahmen der Tanzschule stattfinden. Doch, und darauf weist Martina Domke besonders hin, auch wenn sich viele der regelmäßigen Besucher kennen, ist es überhaupt kein Problem, wenn jemand neu – oder neugierig – vorbeikommt, einfach um zu sehen, wo die Faszination des Tango, des tango argentino liegt.

Entdeckt hatte Martina Domke den Tango per Zufall durch ein befreundetes Ehepaar, und sie fand dann Zugang nicht, wie man erwarten würde, über einen Tanzkurs, sondern über das Tanzen mit einem Partner. „Der Tango, den wir aus der Tanzstunde oder aus Shows kennen, besteht aus Grundschritten und darauf aufbauenden Figuren, die perfektioniert werden können, je nach Können“, meint Martina Domke, „der tango argentino aber hat eigentlich keine Figuren!“ Sie verbirgt ihre Begeisterung für diese Art des Tanzes nicht, und Thomas Kleimaier, ihr Chef in der Tanzschule, teilt sie: „Wir möchten das Gefühl vermitteln, das Gefühl für die Musik, und dazu müssten die Schüler, die Tänzer, eigentlich erstmal das Gehen, das Gehen zur Musik lernen!“ Viele Tanzschüler sind nur an Standardtänzen interessiert, sie wollen die „Basics“ lernen und tanzen gehen – auch das ist natürlich möglich bei der Tanzschule „Swing & Fun“, die Kurse bietet von Disco-Fox bis HipHop.

Die Musik „vertanzen“ – so nennt Martina Domke ihre Vorstellung: „Kinder machen das, sie hören wirklich auf die Musik“, und genau darum geht es beim tango argentino. „Der Herr fängt einfach an zu gehen“. Seine Aufgabe ist es, die Dame „fühlen“ zu lassen, wohin es geht: „Ich möchte dahin, und du gehst mit!“ Martina Domke fasst das Wesen des Tangos in einem einzigen Satz zusammen: „Die Königin des Tanzes ist die Überführung von Musik in Bewegung“. Er besteht nicht in der Abfolge von einstudierten Figuren, er ist die spontane Umsetzung eines durch die Musik hervorgerufenen Gefühls in den Tanz – von beiden Partnern in gleicher Weise verstanden.

„Aber keine Angst!“, beruhigt Martina Domke alle, die glauben, sie könnten das nicht: „Man muss sich einfach darauf einlassen“. Bei den regelmäßigen Milongas kann dies jeder versuchen. Auch wenn der tango argentino im Moment fast schon zu einer Modeerscheinung zu werden droht und er im letzten Jahr zum Weltkulturerbe erklärt wurde, ist diese Tanzform selbst bei Menschen, die gerne tanzen gehen, eher unbekannt oder gar suspekt, was er allerdings nicht sein muss: „Er entstand als Ausdrucksform europäischer Einwanderer in Argentinien, und die Poesie seiner Lieder und seiner Texte spiegelt deren kulturelle Entwicklung wider“.

Apropos Lieder: Bei den Milongas nimmt Martina Domke die Rolle des DJs ein, und da kann es durchaus sein, dass auch zu Chansons von Edith Piaf Tango getanzt wird. Sie erwähnt noch einmal eindringlich, dass hier nicht nur erstklassische Tangotänzer tanzen, auch Neulinge sind stets willkommen und sollen sich einfach wohlfühlen: „Keiner muss tanzen, und niemand braucht zu befürchten, dass jemand abfällig kuckt“. Sie begrüßt jeden Gast persönlich, und in der Auswahl der Musik aus der 120-jährigen Geschichte des tango argentino versucht sie, die jeweilige Stimmung der Gäste einzufangen und auszudrücken.

Nun geht ein Herzenswunsch von Martina Domke in Erfüllung. Bei einer Lesung, in der der bekannte Schauspieler Sebastian Koch Dostojewskijs „Spieler“ vortrug, erlebte sie das Bandoneón von Roberto Russo, das die Textpassagen des großen russischen Literaten kongenial begleitete. „Ich habe ihn angeschrieben und eingeladen – und er hat spontan zugesagt“, freut sich Martina Domke, „ein total unkomplizierter Künstler!“

Am Samstag, dem 30. April, verwandelt Roberto Russo mit seinem Bandoneón den rosengeschmückten Saal ab 21 Uhr in einen argentinischen „salón de baile“. Martina Domke weiß, dass der ausdrucksstarke und leidenschaftliche Bandoneón-Solist mit Interpretationen bekannter Tangostücke und eigenen Kompositionen einen sicherlich unvergesslichen Abend bereiten wird, – für alle, die es – auch als willkommene Zuhörer oder „Tango-Neulinge“ – wagen, sich auf den tango argentino einzulassen. Und Martina Domke verspricht, dass keine Dame die Milonga ohne Rose in der Hand verlassen wird. Für die Herren bleibt dann nur der tango argentino – im Herzen.

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Roberto Russo
… war zeit seines Lebens Vollblutmusiker. Schon im frühesten Kindesalter wünschte er sich Tangoplatten, und das zu einer Zeit, da der Tango in Buenos Aires seinen Tiefpunkt erreicht hatte. Er ließ sich jedoch nicht entmutigen und verfolgte seinen Weg, der ihn schließlich nach Europa brachte. Neben dem Gitarrenspiel beherrscht er auch das Bandoneón und begleitet sich selbst beim Singen, was äußerst schwierig und daher selten anzutreffen ist.
Zu den Stationen seiner Karriere in Europa zählen u.a. das Burgtheater Wien, wo er in der Produktion „Tango“ von Slawomir Mrozek über einen Zeitraum von drei Jahren mitwirkte, das Deutsche Theater München, der Herkulessaal München, das Festival Internacional de Tango in Granada und das Theatercafé Molière in Landshut.
Als Gaststar wirkte er auch an zahlreichen Kino- und Fernsehproduktionen mit, u. a. in „Spaziergang nach Syrakus“ von Lutz Leonhardt und Constantin Wulff sowie in „Pünktchen und Anton“ von Caroline Link.