Der Stadtrat, der Klempner und das Wahlvolk

Eine Glosse von Julian Knapp

Etwas befremdend war er natürlich – der große Saal der Raiffeisenbank, in den die Ratsherren für die Dauer des Umbaus ihres herrschaftlichen Steinbaus am Hauptplatz ziehen mussten. Doch souverän ging der Souverän der Stadt mit den kleinen und großen Unwegsamkeiten des Ungewohnten um.

So bemerkte das zur Sitzung in bester Laune erschienene Oberhaupt der Stadt sogleich, dass manchen der anwesenden Gasthörer oder lauschenden Bürger (oder wie nennt man eigentlich die weder stimm- noch sprechberechtigten Besucher einer Stadtratssitzung“) der barrierefreie Blick auf sein prachtvolles Antlitz durch allerlei Säulen und Winkel verdeckt war. Reaktionsschnell bot Hans Prechter dem in Richtung Hauptdarsteller sichtbehinderten Publikum die komfortablen Plätze auf der höhergelegenen Galerie. Ein Großteil der Anwesenden folgte dem Angebot, wenn auch festgestellt werden musste, dass zwar nun freie Sicht auf den strahlenden Bürgermeister gegeben war, dafür die gesamte Fraktion der Freien Wähler, der Grünen und ökoradikalen Dunkelgrünen von der ÖDP unter der Galerie verschwand. Naja, sei‘s drum.

Das Schöne an so einer Stadtratssitzung ist, dass der Anwesende erfährt, was die Entscheider-Gemüter wirklich bewegt, was ihnen gefällt und sie im Innersten zusammenhält. Der Haushalt gehört nicht dazu, das war nach den ersten TOPs (Tagesordnungspunkte) schnell klar. In endlosen Ausschusssitzungen und Besprechungen war das Zahlenwerk von Kämmerer Rudolf Koppold wohl schon durchgekaut worden, und so blitzte sein Herr und Meister Prechter beim Powerpoint-Vortrag mit den so liebevoll ausgemalten Kuchengrafiken des Kämmerers immer bös‘ hinüber, wenn eine Stelle hinter dem Komma plötzlich einmal genauer erläutert wurde.

Power-Point-Präsentation auf Power-Point-Präsentation folgte. Die Mannen um Ökovisionär Hirschberger verstanden es noch am besten, ein spannendes Stück digitaler Grafiken zu präsentieren. SPD-Rat Wieczorek lief bei diesem Punkt erstmals zur Hochform auf, da er seinem Ärger über die befürchtete Rodung der gesamten Waldgebiete im Umkreis von 2000 Kilometern zur Versorgung des geplanten Biomasse-Heizkraftwerks Luft machte. Überhaupt war der SPD-Mann der Alleinunterhalter des Abends. Als es bei der Gebührengestaltung der Musikschule auf Anregung von CSU-Stadtrat Martin Wolf darum ging, den Auswärtigen eine etwas weniger fremdenfeindliche Gebühr aufzudrücken, versuchte Wieczorek mit einem allesschlagenden Argument aufzutrumpfen: „Überlegen Sie‘s sich. Auswärtige bringen keine Wählerstimme.“ Darauf die FW-Fraktion: „Na, bei der Kreistagswahl scho.“ – Na, wer hört da raus, wonach die frei Wählenden im Landkreis streben.

Gegen Ende der Sitzung wurde dann deutlich, wie erlösend handfestes im Angesicht der digitalen Vortragswelt heute sein kann. Beim TOP „Überschwemmung der Stadtgalerie“ kam der detektivische Spürsinn Sherlock Prechters und Watson Schmuttermayrs voll zur Geltung. Triumphierend und zur Überraschung hielt Hans Prechter plötzlich ein Ventil (baugleich zu dem in der Stadtgalerie!) in die Höhe. Dieses hatte aus noch ungeklärten Gründen gleich zwei Ausläufe, obwohl ja eigentlich nur einer von Nöten war. So konnte es kommen, dass aufgrund wassertechnischer Feinwerkprobleme irgendetwas an dem Ventil platzte, überlief, sich unterdruckartig übergab oder ausfloss – die genauen Worte der beiden auch als Stadtklempner geschulten Akteure sind dem Redakteur leider nicht mehr gegenwärtig. Das Publikum aber war fasziniert und blickte gebannt auf das funkelnde Ventil. Fast wollte Entertainer Wieczorek etwas sagen, doch seine Ängste um das Auslaufen der Ilm behielt er dann doch für sich. Naja, sei‘s drum. Bald heißt es ja wieder: „Bühne frei für den Stadtrat!“