Der Flieger an der Küchentür

von Lorenz Trapp

Auf dem Fensterbrett macht es sich ein Hohner-Akkordeon gemütlich, rechts hinten, rum ums Eck, hängt ein Jagdhorn, an der Wand daneben, über einem Spiegel, fristet die ausgemusterte Posaune ihr dekoratives Dasein, und mitten drin, von der Decke, senkt sich ein kleines Männlein in einem Flugzeug in den Raum – und steigt wieder nach oben. Der Wirt macht die Küchentür zu.

Wir befinden uns nicht, wie manch einer vielleicht glauben möchte, in einem Museum für Musikinstrumente oder ausrangierte Zeugnisse der Kunst des Fliegens. Nein. Wir stehen in „Huber’s Musikkneipe“, Münchener Straße – für die, die sich hier in der Stadt auskennen: im südlichen Teil der Weilhammer Klamm. Der Wirt macht die Küchentür wieder auf, ruft seine Frau, sie kommt, die Tür geht wieder zu, und meine Augen folgen fasziniert dem Männlein im Flieger: Es senkt sich vor meine Nase, und bevor ich die beiden begrüßen kann, gleitet es wieder hoch unter die Decke.

kueche

„Manch einer braucht länger, andere spannen es sofort“, lacht die Wirtin, und der Wirt erzählt was von kleinen Rollen und einem unsichtbaren Faden, der den Flieger mit der Küchentür verbindet: „Türe auf, Flieger ab, Türe zu, Flieger hoch“. Begonnen hat alles vor exakt 21 Jahren, allerdings nicht mit den pfiffigen „Bastelarbeiten“ des Wirts, die den Gast in der Kneipe immer wieder mit einer „Neuentwicklung“ überraschen, sondern mit gewaltigem Umbau­stress. Damals übernahmen Josef und Lieselotte Huber das Café Guggenbichler, das der Besitzer aus privaten Gründen aufgab. Der gelernte Elektriker und die Buchhalterin stürzten sich zwei Monate lang in die Umbauarbeiten: neue Sanitär-Anlagen, neue Küche – und ein neuer Name. „Zum Schlumpf“, mit dem Spitznamen von Josef Huber – „ich heiße schon so, seit ich dreizehn war!“ – startete die Gastwirtschaft in die Erfolgsspur. Der Name änderte sich – aus patentrechtlichen Gründen – irgendwann mal in „Huber’s Musikkneipe“ und trifft das Wesen der Kneipe auch präziser.

Von Oktober bis April präsentieren die Beiden in lockeren Abständen Live-Musik, ohne Eintritt: „Das machen wir einfach für unsere Gäste“. Sehr viele Stammgäste halten der urigen Wirtschaft seit Jahren die Treue, sie lieben die gemütliche Atmosphäre, und in der Altersstruktur bewegen sie sich „zwischen 18 und ‚Vorkriegsware‘“. Lieselotte Huber lacht: „Bei uns fühlt sich ein 65-Jähriger genauso wohl wie die Jungen!“ Kleinigkeiten gibt’s zum Essen, Pizza, Toast, Wurstsalat und Cannelloni stehen auf der Speisekarte, und das kommt aus der Küche, solange Gäs­te da sind – und wenn dem Flieger schwindlig wird vor lauter „Küche auf, Küche zu“.

Stolz sind Josef und Lieselotte Huber auf ihre Whisky-Karte. Vom Glenmorangie aus Schottland bis zum Four Roses aus Kentucky findet der Gast mehr als dreißig Sorten, gekrönt vom Slyrs, dem bayerischen Whisky aus einer Destillerie am Schliersee, und wer es zu würdigen weiß, bekommt auch eine „Feurige Doris“, einen Schnaps, der nach einem – genau: feurigen – weiblichen Stammgast benannt ist. Da die feurige Doris persönlich mittlerweile in ruhigerem Fahrwasser segelt und als Gast nicht mehr erscheint, bietet ein Whisky die beste Gelegenheit, den Blick schweifen zu lassen über die unzähligen Schilder, die die Kneipe zieren. „Rauchen verboten“. Dieses Schild hängt – und da war vom Rauchverbot in Gaststätten noch keine Rede – seit dem ersten Öffnungstag der Kneipe genau an dieser Stelle, erzählt Lieselotte Huber und lacht: „Wer hätte damals gedacht, dass unser Schild einmal wahr wird!?“

Eine Eiche in „Hubers Schilderwald“ ist „Das Abstellen von Motorrädern ist verboten“. Exakt unter diesem Schild brachte ein italienischer Gast, der in der Stadt auch als Gastronom bekannt ist, seinen Piaggio-Roller zum Stehen, auf dem er in launiger Stimmung direkt ins Lokal gebraust war. Er musste sich, unter großem Gelächter der übrigen Gäste, dann auch der Frage stellen: „Kannst du vielleicht nicht lesen?“ Köstliche Raritäten befinden sich unter den Schildern, und wir empfehlen jedem dringendst, in die angeregten Gespräche beim Schlumpf, der seine Kneipe nicht mehr so nennen darf wie er heißt, eine kleine Pause einzubauen und seinen Blick schweifen zu lassen. „Wenn dir beim Ratschen langweilig wird“, so erklärt Josef Huber spitzbübisch den tieferen Sinn seiner Schilder, „kannst du ein bisschen rumschauen – und dann fällt dir wieder was ein!“

Genau so ist es, und uns fällt jetzt ein – bestimmt hängt irgendwo das Schild „Schwimmen verboten“ –, dass die Hubers demnächst die Gaststätte im Freibad eröffnen – mit mediterranem Flair, wie die beiden ankündigen –, dass es „hinten“, im Innenhof, auch einen Biergarten gibt, der schon ganz aufgeregt wartet, bis die Temperaturen steigen und bei ihm wieder Gemütlichkeit einzieht, und dass es einen „Terrassenbetrieb“ gibt für alle, die „vorne“ sitzen wollen. Und uns fällt jetzt auf: Irgendwie, egal wo, sitzt du beim Schlumpf immer in der ersten Reihe!