Das Klassentreffen der Epikureer

Eine spektakuläre Vereinigung feiert Wiedersehen  von Hellmuth Inderwies

Nein! es handelt sich beim „ modifizierten, rationalisierten und reformierten 1. internationalen Creativen FSC epikur Winden a. Aign“ nicht um etwa noch lebende Mitglieder jener Kepos-Schule, die der griechische Philosoph epikur auf Samos um 300 v. Chr. in seinem Garten betrieben hat, sondern um eine Vereinigung, die im Jahre 1975 von den Schülern der damaligen Klasse 12 b des Schyren-Gymnasiums in Pfaffenhofen gegründet wurde. Ob es mit dem damals gesenkten Volljährigkeitsalter von 21 auf 18, wovon alle profi tierten, zu tun hatte, kann nur vermutet werden. Für originelle und unkonventionelle Unternehmungen jedenfalls hatten sie sich als verschworene Gemeinschaft schon lange zuvor einen Namen gemacht. Und das war auch eines der Gesprächsthemen bei dem kürzlich stattgefundenen Klassentreffen der nunmehr 60- bis 62-jährigen.

Das spektakulärste Projekt, das sie sich während ihrer Schulzeit ausdachten, war zweifelsohne die Gründung jenes obskuren „1. int. FSC epikur“, den man nur bei „Mundverkehr“, nicht aber bei „Schriftverkehr“, abgekürzt auch als „Club“ oder „FSC“ bezeichnen durfte, wobei niemals so recht transparent wurde, was sich denn eigentlich hinter diesen Lettern verbarg. Böswillige Gemüter deuteten sie als „Fressund Sauf-Club“, aber man hätte sie auch als „Filosofi sche Schatzsucher- Companie“ entschlüsseln können, zumal man es im Sinne der im Verein geltenden Gepfl ogenheiten mit der Rechtschreibung nicht gar so genau nahm, aber strenge Direktiven erließ, wenn es um die Sprache selbst ging. „Für die Mitglieder ist Bayerisch Gesetz, Preußisch und Französisch sind verpönt.“ englisch und Amerikanisch waren bedingt erlaubt, um die „internationale Reichweite“ des Clubs zu betonen, als dessen Vereinsheim ein nicht mehr genutzter Waschraum der Familie Hillisch in Winden am Aign diente. Sein absoluter Anspruch auf Globalität konnte zudem mit der Aufnahme von Barbara Cresswell aus dem Landstädtchen Carnforth, Great Britain, auch personell nachgewiesen werden. Sie musste ebenso wie alle Mitglieder der Vereinigung wenigstens einmal in der Schule „auf ehre und Gewissen“ die Note „6“ erhalten haben. Auf eine Überprüfung verzichtete man edelmütig.

Eben so viel Gewicht legte man auf das äußere erscheinungsbild der Mitglieder: „Anstand und Haltung als Garanten eines freien und autonomen Verbandslebens werden verstärkt mit Nachdruck gefordert“ ist in einem der zahlreichen sogenannten „Viereckschreiben“ des Präsidiums zu lesen. Gleichermaßen sollte man auf eine „reine Kleidung“ achten und „die Kauinstrumente gesäubert und gebleicht haben. tunlichst sollten ungeschlachte Kopfbedeckungen vermieden werden, auch rasselndes und klapperndes Gehänge und Gestänge am Halse und anderen Körperpartien sollte man nicht bei sich führen.“ Und das galt für die „vereinseigene Sommerzeit (veSZ)“, die am 13. Mai anbrach wie für die „vereinseigene Winterzeit“ (veWZ) ab 13. November und damit vor allem für die in diesen Zeiträumen um 19.38 Uhr beginnenden Veranstaltungen, bei denen auf ein äußerst pünktliches erscheinen größter Wert gelegt wurde. Man hatte sich mit „Wolpertinger Heil!“ zu begrüßen und mit einer Art Hundeplakette aus Aluminium, in die das persönliche Signum eingestanzt war, auszuweisen. Dass die beiden initiatoren und Präsidenten des Clubs, ernst Hillisch und Rupert Breitmoser, mit „HiLe 001“ und „BReR 002“ dabei die vordersten Ränge einnahmen, war eine Selbstverständlichkeit, zumal sie sich bereits im Gründungsjahr 1975 für den Rest des Jahrhunderts in ihr Amt gewählt hatten. Danach verlängerte sich ihr Mandat automatisch auf unbestimmte Zeit. Die in den Kreis aufgenommenen Lehrer Hellmuth inderwies (iNDH 014), Rainer Schuster (SCHR 015) und Dieter Sauer (SAUD 016) hatten sich mit unteren Plätzen zu begnügen.

Um eine klare Geschlechtertrennung kenntlich zu machen, versah man die weiblichen Mitglieder mit einem Minus vor der Zahl. So erhielt Sigrun Möbius, die Mathematiklehrerin der Klasse, die identifi kationsnummer „MÖBS -004“. Damit dies im Zeitalter femininer emanzipation aber nicht als Diskriminierung gedeutet werden konnte, führte man für diese „Mitgliederinnen“ die Bezeichnung „Prachten“ ein. Und zudem wurde bei den philosophischen Betrachtungen der Wesensart der weiblichen Spezies stets eine zentrale Rolle eingeräumt. in seiner für das Clubleben verfassten Schrift „Über das Verhalten beim Anhören von Reden“ konstatiert ernst Hillisch: „eine Kernfrage ist, warum das Weib nicht zuhören kann. ist es wirklich bessere Weisheit oder doch geschwätziges Vorlautgebaren, das es zu Störungen kleineren und größeren Ausmaßes treibt?“ eine konkrete Antwort auf diese Frage überlässt er dann freilich – aus welchen Gründen auch immer – dem griechischen Philosophen Demokrit und zitiert dessen Aphorismus: „Kargheit in Reden ist ein Schmuck für das Weib. Denn schön ist einfachheit auch beim Schmuck.“ Die spätere Weisung, dass feminine Geschöpfe bei allen Sitzungen ab 22.00 Uhr sich stündlich mit nicht mehr als zehn Worten beteiligen dürfen, war ohnehin von Anfang an wirkungslos. Damit bei dem strengen Regiment, das die beiden Vorsitzenden führten, weder die „Mitglieder“ noch die „Prachten“ oder die „Mietglieder“ (beiderlei Geschlechter) als sporadisch geladene Gäste keine totale Unterdrückung erfuhren, wurde zu ihrem Schutz das Amt eines Volkstribunen altrömischer Prägung eingerichtet. Der Wagner „Xangerl“ aus Puch, heute Rechtsanwalt in München, übernahm es auf Lebenszeit. er durfte auch bei der Gestaltung des Jahresprogramms mitwirken, weil man seinen legendären „Luftschutzkeller“ immer wieder als beliebten tagungsort nutzte. Zu den Veranstaltungen, bei denen ein „Wohlfahrtsausschuss“ für das „leibliche Wohl“ sorgte, konnten auch – soweit vorhanden – die ehegatten mitgebracht werden, „sofern Anstand, Haltung und Reinlichkeit gewahrt blieben.“ Die Presse schloss man stets aus.

Das ansehnliche Jahresprogramm begann mit der sogenannten „Wiegung“ am 7. Januar. Hierfür wurde am 24.12.1976 ein eigenes Gesetz verabschiedet, „dass alle Mitglieder, Mietglieder und sämtliche Prachten ohne Ausnahme wiegungspfl ichtig sind“. Bei Letzteren überprüfte der Vorstand zuerst, „ob die Pracht noch prächtig ist“. Aus hierbei erhobenen Daten wurde dann die Wiegungssteuer errechnet, die für die Durchführung von events verwendet wurde. Folgende Formel diente der ermittlung des Steuerbemessungsbetrags, den jeder einzelne zu entrichten hatte: Körpergewicht (auf einer Getreidewaage ermittelt) x Körpergröße in cm x Alter – 1 x Anzahl der Beine x 16777 : 19,5 x Anzahl der Arme x 10 x 2516550. ein Altersbelastungsbetrag wurde in Abzug gebracht. Bei Verweigerung der „Wiegung“ schätzte die Vorstandschaft die Daten nach bestem Wissen und Gewissen und erließ einen Steuerbescheid.

Wenn auch dem philosophischen Motto „Der Mensch isst, darum ist er!“ grundsätzlich entsprochen wurde und manchmal auch dem biblischen Halbsatz „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein …“, so gehörten bei den „Sitzungen“ gleichermaßen Filmvorführungen, Vorträge über wichtige aktuelle themen usw. zum Programm. eine jährliche Klausurtagung fand in Scheibe (Bayerischer Wald) statt, eine jährliche Fahrt nach elsass-Lothringen zum Weinfest in Mittelbergheim diente stets dem Gedächtnis einer französischen Persönlichkeit, so im Herbst 1976 Charles de Gaulle. Um körperliche Fitness zu gewährleisten, gründete man eine Unterabteilung „Fußball“, in der jeder Aktive den Namen eines berühmten Formel-1-Rennfahrers zugeteilt bekam: Anton Steinberger, heute Bürgermeister von ilmmünster, war „Jody Scheckter“, ernst Hillisch „Vittorio Brambilla“, Rupert Breitmoser „Stirling Moss“, Hellmuth inderwies „Graf Berghe von trips“ usw.

ein wenig von jenem Selbstbewusstsein, das in einem Begleitschreiben des „Vize“ vom Juli 1977 zum Ausdruck kommt, war auch beim heurigen Klassentreffen noch spürbar: „Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass der Kulturkreis epikur mehr und mehr an einfl uss in unserer Welt der Antikultur gewinnt. Auf einem steilen und steinigen Weg zur höchsten Zinne der Kultur wurde durch uns eine Ära eingeleitet, die wohl in die Weltgeschichte eingehen wird.“